Freiarbeit - Liberty
Warum es für mich mehr ist als nur eine Trainingsmethode
März 2024
Was bedeutet für mich Freiarbeit
Freiarbeit mit dem Pferd bedeutet für mich, nicht nur physisch, sondern auch psychisch loszulassen.
In einem gut gesicherten Roundpen oder in einer geschlossenen Reithalle das Halfter und die Stricke zu entfernen, ermöglicht es mir das Pferd besser kennenzulernen.
Gleichzeitig eröffnet es dem Pferd die Möglichkeit, eine ehrliche Verbindung mit mir als Mensch einzugehen und mit mir gemeinsam zu arbeiten.
Pferde werden von klein auf darauf trainiert, auf das Halfter und den Strick zu reagieren, was zweifellos ein sehr wichtiger Bestandteil des Fohlen-ABCs ist.
Auch in der Grundausbildung nutze ich häufig das lange Bodenarbeitsseil, da dies den Alltag widerspiegelt wie wir unser Pferd führen und arbeiten, sei es an einem Strick, Zügel oder einer Longe.
Daher betrachte ich Freiarbeit nicht unbedingt als eigenständige Ausbildungsmethode, trotzdem möchte ich sie bei der Ausbildung keinesfalls missen.
Die Freiarbeit "zwingt" mich dazu, intensiver auf das Pferd einzugehen, seinen individuellen Charakter kennenzulernen und seine Art des Lernens zu erkunden.
Das schöne an der Freiarbeit ist, dass das Pferd immer die Möglichkeit hat, sich zurückzuziehen oder zu gehen, wenn es will.
In solchen Momenten bestrafe ich das Pferd niemals für sein Verhalten, stattdessen versuche ich zu verstehen, was es mir damit sagen möchte.
Versteht es mich nicht? Hat es Angst vor mir oder den Hilfsmitteln, die ich in der Hand halte? Ist es über- oder unterfordert?
Also was ist die Freiarbeit für mich? Es ist ein Weg, die Wahrheit über das Pferd, mich selbst und unseren Ausbildungsstand zu erkennen. So zeigt sie mir die Wege auf, die ich mit dem Pferd gemeinsam gehen möchte.
Die Essenz der Freiarbeit
Es gibt zahlreiche "Freiarbeitsmethoden", die darauf abzielen, dass das Pferd auf Kommando zum Menschen kommt. Dies wird oft als das Hauptziel dieser Arbeit vermittelt - "ein freiwilliges Annähern des Pferdes auf Kommando".
Für mich ist Freiarbeit jedoch viel weitreichender. Ich verstehe darunter die Freiheit von Körper und Geist sowie eine daraus resultierende Zusammenarbeit.
Mit der Freiarbeit gebe ich dem Pferde gezielt die Möglichkeit, frei zu sein und sich frei auszudrücken und wenn sie diese Freiheit wählen und ausleben, sollten wir sie niemals dafür bestrafen.
Sie sollen ihre Freiheit leben, die Umgebung erkunden und ihre Energie ausleben können. Dennoch möchte ich dabei nie die mentale Verbindung zum Pferd verlieren.
Was verstehe ich unter einer mentalen Verbindung?
Beobachten wir Fohlen, die mit ihrer Mutter auf der Weide stehen, sehen wir ein verspieltes Fohlen, das mit Vollgas um die Mutter herumflitzt. Es streckt seine kleinen Beinchen, bockt und springt herum, während die Mutter friedlich grast. Aber genau betrachtet, ist das Fohlen immer mental mit seiner Mutter verbunden, und umgekehrt auch. Würde die Mutter eine Gefahr sehen und das Fohlen zu sich holen wollen oder im Extremfall sogar flüchten, würde das Fohlen sofort reagieren, auch wenn es 20 Meter entfernt ist und mit Vollgas umherflitzt.
Genau dies widerspiegelt die mentale Verbindung die zu einem Pferd aufgebaut werden kann, denn so funktioniert auch die Kommunikation im grösseren Herdenverband. Ich möchte auf keinen Fall als "Mutter" oder "Herdencheff" agieren, ich nutze lediglich die natürliche Kommunikation von Pferden.
Das Ziel der Freiarbeit für mich ist es deshalb, eine mentale Verbindung mit meinem Pferd aufzubauen, durch die wir in eine gemeinsame Kommunikation treten können.
Dadurch kann ich Fragen stellen, anfangen das Pferd zu Führen und das Pferd hat die Möglichkeit darauf zu antworten.
Diese Kommunikation basiert nicht auf dem "Koordinieren" von Manövern, sondern auf freier Kommunikation.
Das Pferd sollte sich auf unser Gespräch konzentrieren und sich auf mich und die Fragen, die ich stelle einlassen.
Wenn auf dieser Basis eine Verbindung aufgebaut wird, zeigt das Pferd eine grosse Bereitschaft, mit uns zu arbeiten, und antwortet grosszügig auf unsere Fragen.
So können jegliche Manöver und Figuren erarbeitet werden.
Nebst der Möglichkeit mit dem Pferd diverse Manöver, Figuren und Tricks zu erarbeiten, zeigt sich in dieser Arbeit den Charakter des Pferdes sehr genau.
Wir können sehen wie skeptisch oder offen sich das Pferd auf den Menschen einlässt, wir können herausfinden was unsere Pferde für Lerntypen sind und dadurch haben wir die Möglichkeit eine auf unser Pferd zugeschnittene Ausbildung zu wählen.
Zusätzlich haben wir die Möglichkeit uns intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen wie unsere Pferde denken und handeln, wenn wir unseren Pferden den Raum geben, geben wir uns selber den Raum von ihnen zu lernen.
Wie denkt und handelt ein Pferd - Schule dein Auge und deine Gedanken
Das Thema, wie denken Pferde, fasziniert und beschäftigt mich tag täglich wenn ich Zeit mit Pferden verbringe. Einerseits kommt hier der Aspekte des natürlichen Verhaltens zum Vorschein - wie sie handeln, kommunizieren oder sich in Stress- oder Angstsituationen verhalten und wie sie dies gegen aussen hin zeigen. Diese Individualität können wir bei jedem Pferd beobachten und es ermöglicht uns, viel über sie zu lernen. Ebenso Bücher, die das Verhalten nicht domestizierter Pferde im Herdenverband beschreiben oder Erfahrungen und Gedanken erfahrener Trainer festhalten, haben mich stundenlang in ihren Bann gezogen.
Es liegt in unserer Verantwortung, uns intensiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir anders denken und handeln als Pferde. Jedoch tendieren wir dazu unsere Art von denken auf das Pferd zu übertragen. Was ein ganz natürlicher Prozess ist von uns Menschen und meist nicht bewusst abläuft.
So können in der Zusammenarbeit meist einige Missverständnisse entstehen.
Neben den jahrhundertealten Beobachtungen von Pferden schreitet auch die Wissenschaft stetig voran, so ermöglichen uns neue Technologien und Methoden, Pferde wissenschaftlich genauer zu erforschen. Gerade die Neurowissenschaft, die die Gehirnfunktionen des Pferdes beschreibt, war lange Zeit ein unerforschtes Gebiet. Doch mit aufwendigen Studien wird das Pferdehirn nun genauer untersucht, was uns wertvolles Wissen für das Pferdetraining liefert.
Ich beschäftige mich kontinuierlich mit diesem Thema, und trotz all der spannenden Fakten, die ich gelernt habe, bestätigt sich für mich immer wieder ein grosses Fazit: Pferde möchten kommunizieren, sie möchten sich uns mitteilen, und das tun sie immer ehrlich und ohne Hintergedanken.
Unsere Aufgabe besteht also darin, ihre Signale zu erkennen und richtig zu deuten, frei von Gedanken wie "Er tut das extra" oder "Er will einfach nicht".
Viele kennen den Begriff "Pferdeflüsterer", der zwar schön klingt, aber eigentlich ist es nicht der Mensch der flüstert, sondern das Pferd. Der Mensch hört zu, beobachtet und versucht zu verstehen - das ist für mich ein wahrer Pferdeflüsterer.
Mein grosses Fazit ist also, auch wenn ich noch viel mehr über dieses Thema zu erzählen habe und das in einem anderen Blogbeitrag noch tiefgründiger erläutern werde ist :
Beobachte dein Pferd, lerne seine Sprache und seine Ausdrucksweise kennen und begegne ihm immer ohne Vorurteile oder Hintergedanken. Denn Pferde denken nicht wie wir, sie können nicht so weit vorausplanen und haben keine schlechten Absichten. Sie spiegeln uns lediglich ihre momentane Wahrheit wider.
Zwischen Grenzen setzen, Führung übernehmen und sich durchsetzen
Auch wenn wir unsere Arbeit auf dieser Basis der Freiarbeit aufbauen, ist es wichtig, immer klare Grenzen zu definieren. Dem Pferd und auch dir muss klar sein, dass in jeder Situation Grenzen definiert sein müssen, um die Sicherheit in der Zusammenarbeit zu gewährleisten.
Doch was ist der Unterschied zwischen Grenzen setzen, Führung übernehmen oder sich einfach durchzusetzen?
In der Zusammenarbeit mit Pferden stehen wir immer wieder vor der Frage: Was mache ich, wenn Pferde nicht so reagieren, wie ich es mir vorgestellt habe? Unsere Erwartungen an das Pferd wurden durch das Pferd nicht erfüllt.
Es gibt Ansätze, die sagen: Setze dich durch, lasse das Pferd nicht "gewinnen". Dies ist im Ansatz kein schlechter Gedanke, für mich aber etwas zu generell.
Wir sollten uns immer fragen: Hat das Pferd meine Aufforderung überhaupt verstanden? Oder bestehe ich darauf, dass mein Pferd etwas macht, das es gar nicht versteht?
Wenn ich mit meinem Pferd unterwegs bin, gibt es einige Dinge, die "funktionieren" müssen, um die Sicherheit von mir, meinem Pferd und meinen Mitmenschen zu gewährleisten. Das heisst, ich sollte mein Pferd sicher führen, es in alle Richtungen bewegen und seine Körperteile gezielt bewegen können. Dies sollte bei einem erwachsenen Pferd mit abgeschlossener Grundausbildung ohne Diskussion funktionieren.
Wenn sich also mein 19-jähriger Quarter Horse Wallach weil er gerade abgelenkt ist, nicht rückwärtsrichten lässt, werde ich mich strikt durchsetzen, ohne Gewalt oder grosse Emotionen, aber mit klaren Anweisungen. Dabei erlaube ich kein Wenn und Aber, denn ich kenne seinen Ausbildungsstand und weiss, dass wir dies ausgiebig geübt und in verschiedenen Situationen wiederholt haben, und er definitiv den Raum hatte, um herauszufinden, was ich von ihm verlange und diese Aufgabe zu verstehen.
Wenn ich aber ein junges oder unsicheres Pferd habe oder eines, das noch keine ausgeprägte Grundausbildung hatte, werde ich nicht so vorgehen. Denn dies kann schnell zu noch grösserer Unsicherheit oder einer starken Gegenreaktion führen.
Wir haben hier ein unsicheres Pferd, das abgelenkt ist. Es hat noch nicht gelernt, in die gemeinsame Kommunikation mit dem Menschen zu gehen und sich daran zu orientieren. Wenn nun eine zu starke Reaktion von unserer Seite kommt, die das Pferd nicht zuordnen kann, wird dieses skeptisch, unsicher oder sogar defensiv.
Wie erarbeiten wir nun also dieses Verständnis von Seiten des Pferdes?
Dafür nutze ich die Freiarbeit. Ich bringe dem Pferd näher, sich auf eine Kommunikation mit mir einzulassen, sich auf mich zu konzentrieren und eine mentale Verbindung herzustellen. So kann ich ihm meine Art der Kommunikation erklären und ihm meine Hilfen näherbringen. Das Pferd hat den Raum, mir zu zeigen wenn es mich nicht versteht und bekommt die Zeit, die es braucht, um zu verstehen was ich gerne von ihm hätte.
Sobald das Verständnis für meine Frage da ist, wird es wiederholt, in so vielen verschiedenen Situationen wie möglich jedoch immer in einem möglichst sicheren Rahmen, damit ein erneutes Erklären ohne zu hohen Druck möglich ist. Und erst dann, nach intensiver Erklärung und etlichen Wiederholungen, darf von uns verlangt werden, dass das Pferd dies in jeder Situation abrufen kann.
Darin besteht für mich der grosse Unterschied zwischen Führung übernehmen, Grenzen setzen oder sich durchzusetzen. Ich habe meinem Pferd ausführlich erklärt, was ich ihm sagen möchte und ihm den Raum und die Zeit gelassen, dies zu verstehen und zu verinnerlichen.
Somit erreiche ich eine harmonische, faire und klare Zusammenarbeit.