Die Reise des Lernens: Zwischen Individualität, Neugierde und Authentizität
Wie lernen wir?
Welche Einstellung haben wir zu uns und unserem Pferd?
Was sind die Grundsteine für die Zusammenarbeit mit dem Pferd?
Diese Fragen stellen sich mir immer wieder und begleiten mich in meiner Rolle als Pferdetrainerin und Schülerin, gerne nehme ich euch in meine Gedankliche Reise mit.
Januar 2024
Die Welt des Reitens ist für mich weit mehr als eine sportliche Disziplin – es ist eine fortwährende Reise der Selbstwahrnehmung, des Lernens und einer tiefen Verbindung zwischen mir und meinem Pferd. Das Reiten stellt nicht nur eine sportliche Herausforderung dar, die keineswegs unterschätzt werden sollte, sondern auch eine mentale Herausforderung für uns Menschen so wie auch für unsere Pferde.
Auf dieser Reise begegnen wir Selbstzweifeln, Momente der Ratlosigkeit, Höhenflügen und scheinbar unüberwindbaren Problemen.
Zahlreiche Bücher, Ratschläge, Tipps und Tricks versuchen, das perfekte Zusammenspiel und Training zwischen Reiter und Pferd zu vermitteln.
Stundenlang habe ich Bücher gelesen, Filme geschaut und Vorträge von verschiedenen Pferdemenschen gehört. Dabei wurde mir klar: Uns verbindet alle eines, die Leidenschaft, das Lebewesen Pferd, sie zu verstehen und mit ihnen zusammenzuarbeiten und einfach mit ihnen zusammen zu sein. Wir alle sind dem Pferdevirus verfallen.
Die meisten von uns hegen diesen Traum seit ihrer Kindheit – das Einssein mit dem Pferd, den Aufbau einer natürlichen Verbindung und die scheinbar unsichtbare Kommunikation mit unserem treuen Begleiter. Entspanntes Zusammensein, das Erleben von Abenteuern und das Geniessen der Zeit mit unserem Pferd, sind die gemeinsamen Wünsche die uns Pferdemenschen verbinden.
In meinem Training möchte ich nie vergessen wo der Ursprung für meine Faszination liegt und das Gefühl, das ich als Kind erleben durfte, wenn ich mit dem Pferd zusammenarbeitete. Diese Losgelöstheit, der gegenseitige Respekt und das Arbeiten auf Augenhöhe – all das schafft eine unglaubliche Faszination, wenn ich bedenke, dass ich mit einem so starken und grossen Tier einen so sanften Freund gefunden habe.
Gerne nehme ich euch mit, in meine Gedanken und Überlegungen, die sich um die Grundeinstellung und Grundhaltung in der Zusammenarbeit mit dem Pferd drehen – eine Zusammenarbeit, die auf Individualität, Neugierde und Authentizität basiert.
Meine Faszination, Erwartungen und Wünsche
Die Reise vom Pferdemädchen, das freudig ganze Tage im Stall verbrachte, zu einer professionellen Pferdetrainerin war geprägt von einer Entwicklung in meinen Zielen, Vorstellungen und Erwartungen.
Früher war jede Minute mit dem Pferd für mich eine Bereicherung, sei es beim Ausritt durch Wälder und Wiesen, dem Erproben neuer Übungen oder dem gemeinsamen Abkühlen im Bach oder aber mit dem Westernsattel im Dressurunterricht. Jede Einheit war von Freude geprägt, unabhängig davon, ob wir Erfolge erzielten oder Herausforderungen meisterten.
Mit dem Erwachsenwerden änderten sich meine Vorstellungen und Wünsche. Der Gedanke "besser, schneller, höher" dominierte, und jede Trainingseinheit war geprägt von Selbstkritik und den ständigen Erwartungen nach Verbesserung, an mich und mein Pferd. In diesen Erwartungen verlor ich manchmal die Freude am Zusammensein mit dem Pferd aus den Augen. Die Reiterei begann sich wie Arbeit anzufühlen, und die wertvollen Momente der gemeinsamen Zeit rückten in den Hintergrund.
Durch prägende Erlebnisse mit verschiedenen Pferden, Trainern und anderen Pferdemenschen wurde die Erinnerung an meine ursprüngliche Faszination aus der Kindheit zu einem entscheidenden Wendepunkt. Diese vielfältigen Erfahrungen haben mich dazu geführt, mich wieder auf meine ursprüngliche Begeisterung zu besinnen.
Die Erlebnisse mit unterschiedlichen Pferden ermöglichten mir einen erneuten Blick auf die Vielfalt und Individualität dieser faszinierenden Tiere. Jedes Pferd brachte seine eigenen Stärken und Schwächen mit, und die Zusammenarbeit mit ihnen lehrte mich, die Einzigartigkeit jedes Partners zu schätzen.
Die Begegnungen mit aussergewöhnlichen Trainern und Pferdemenschen eröffneten mir neue Perspektiven und Lehrmethoden, die meinen Horizont erweiterten und mir halfen, neue Wege in meiner Arbeit zu beschreiten. Der ehrliche und offene Austausch von Erfahrungen, die Diskussion über verschiedene Herangehensweisen und die gemeinsame Leidenschaft für Pferde schufen eine inspirierende Umgebung. In dieser Gemeinschaft wurde mir bewusst, dass meine anfängliche Faszination als Kind einen entscheidenden Einfluss auf meine Liebe zu Pferden und meinen Weg als Pferdetrainerin hat.
Das Besinnen auf meine Leidenschaft, das Wertschätzen von positiven Gefühlen und Erfahrungen sowie das gemeinsame Wachsen mit dem Pferd sind für mich wieder in den Mittelpunkt gerückt. Die Vielfalt an Erlebnissen hat dazu beigetragen, meine ursprüngliche Begeisterung neu zu entfachen und sie als Leitfaden für meine Reise als Pferdetrainerin zu nutzen.
Der Reitsport ist ein Teamsport, und wie in jedem Team ist auch hier die Teambildung entscheidend. Das Miteinander, das Kennenlernen von Schwächen und Stärken, das Anerkennen von guten und schlechten Tagen sowohl bei mir als auch bei meinem Pferd – all dies prägt die individuelle Anpassung des Trainings.
Das gemeinsame Erleben von Erfolgen und das Überwinden von Rückschlägen oder Missverständnissen sind essentiell. Immer auf Augenhöhe, mit gegenseitigem Respekt und der notwendigen Führung von meiner Seite. Denn letztendlich ist Reiten nicht nur ein Sport, sondern eine fortwährende Reise der gemeinsamen Entwicklung und Verbundenheit.
Die Einzigartigkeit jedes Individuums
Für mich spielt die Betonung der Einzigartigkeit jedes Individuums eine zentrale Rolle – sei es Mensch oder Pferd. Diese Erkenntnis hat sich als Schlüsselkomponente auf meiner eigenen Reise des Lernens, Trainierens und Ausprobierens herauskristallisiert. Die physische und psychische Verfassung sowohl meiner selbst als auch meiner Pferde gewinnt dabei eine entscheidende Bedeutung.
Für mich geht es nicht nur darum, Fertigkeiten zu erlernen, sondern auch darum, mit meinem Pferd eine Partnerschaft aufzubauen.
Die Entwicklung eines tiefgreifenden Verständnisses dafür, dass wir als Team mit einem fühlenden, denkenden und handelnden Individuum arbeiten, prägt meinen Zugang zum arbeiten mit Pferden.
Diese Erkenntnis begleitet mich stets, und ich bin mir bewusst, dass jedes Pferd seinen eigenen Gemütszustand und seine individuellen Bedürfnisse mit in unsere gemeinsame Arbeit bringt. Ebenso bin ich mir meiner eigenen Individualität bewusst.
In der Zusammenarbeit zweier individueller Lebewesen sehe ich die Herausforderung, aber auch die Schönheit unseres gemeinsamen Weges.
Die neutrale Haltung als Grundprinzip
Eine neutrale Haltung ist für mich ein fundamentales Prinzip bei der Arbeit mit Pferden.
Dies bedeutet für mich, Wörter zu wählen, die keine Wertungen wie "gut und schlecht" oder "besser und schlechter" enthalten.
Diese Herangehensweise erlaubt es mir, das eben erlebte, meine Gefühle und Empfindungen auf eine neutrale Art auszudrücken, um so eine umfassende Analyse zu ermöglichen.
Ein Beispiel ist, statt zu sagen:
"Mein Rücken fühlt sich schlecht an"
beschreibe ich neutral:
"Mein unterer Rücken ist steif, und insgesamt fühlt sich mein Rücken sehr unbeweglich und schwer an."
Eine neutrale Haltung beim Beurteilen von Pferdeleistungen ist ebenso bedeutend.
Beispielsweise wird aus:
"Mein Pferd lief heute schlechter als gestern"
eine Analyse:
"Mein Pferd war heute sehr steif im Becken und hat sich oft gegen meine Schenkelhilfen gedrückt und war eher müde und schlapp."
Die Betonung liegt darauf, den eigenen Fortschritt oder Rückschritte neutral zu betrachten. Selbst positive Entwicklungen werden auf eine nicht wertende Weise reflektiert.
Die neutrale Haltung schafft Raum für eine ehrliche Analyse, ohne von vornherein in Gut-Schlecht-Kategorien zu denken.
So möchte ich mein Training auf der Basis von Offenheit, Reflexion und einem ständigen Streben nach Verbesserung gestalten. Jedoch ohne steife Erwartungen an mich oder mein Pferd, sondern mit Offenheit für ehrliches analysieren und beobachten vom Ist-Zustand.
Erwartungen: Die Bedeutung von Offenheit und ehrlicher Neugier
Erwartungen begleiten uns auf verschiedenen Ebenen – sei es in Bezug auf uns selbst, unsere Pferde oder die Erwartungen, die andere an uns hegen. Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff "Erwartungen"?
Erwartungen sind im Grunde genommen klar definierte Ziele, Vorstellungen oder das Gefühl, dass bestimmte Ereignisse in der Zukunft eintreten werden, basierend auf Annahmen oder Hoffnungen.
Obwohl das Setzen von Zielen an sich nichts Schlechtes ist, stellt sich die Frage:
Müssen Erwartungen wirklich so starr und detailliert sein?
Die Antwort liegt für mich darin, Erwartungen offener und dynamischer zu gestalten.
Die Idee ist nicht, gänzlich auf Ziele zu verzichten, sondern diese auf eine weitreichendere Art und Weise zu generieren. Eine Art, die unsere Ziele neutral und mit einem unvoreingenommenen Blick betrachtet, die uns erlaubt neugierig unseren Weg zum Ziel zu starten und zu verfolgen.
Auf diese Weise können wir dem Druck, der Erwartungen in uns hervorrufen können, als "Versager" oder "nicht genug" zu gelten, entgehen. Statt uns von Erwartungen einengen zu lassen, können wir die Kraft der Neugierde nutzen.
Ehrliche Neugierde bedeutet für mich, ein Ziel zu verfolgen, dabei aber offen für Neues zu sein, ohne sich zu sehr in Details zu "verknorzen".
Es geht darum, verschiedene Situationen zu erleben und den Weg mit unserem Pferd zu gehen – offen für alle Antworten, die sich uns zeigen.
Indem wir Platz für die Neugierde schaffen, eröffnen sich neue Perspektiven.
Diese Art der Offenheit ermöglicht es uns, nicht nur an einem Ziel festzuhalten, sondern auch den Prozess des Lernens und Erfahrens zu schätzen.
So können wir authentisch den Weg mit unserem Pferd finden – offen für neue Erfahrungen und Antworten, die uns auf diesem einzigartigen Weg begegnen.
Klare Führung und Kommunikation mit dem Pferd
Durch meine Begegnungen mit verschiedenen Pferden ist mir der Aspekt der klaren Führung und Kommunikation sehr wichtig.
Ich möchte hier meine Gedanken mit euch teilen, warum eine klare Führung und Kommunikation im Umgang mit Pferden für mich so wichtig ist.
Jedes Team benötigt einen verantwortungsbewussten Teamleader, der in chaotischen Situationen den Überblick behält, klare Anweisungen geben kann aber auch ein Orientierungspunkt darstellt in "gefährlichen" oder unsicheren Situationen.
Dieser sollte stets die Situation im Blick haben, über gute Führungskompetenzen verfügen und seine Position fair und klar ausüben, ohne sie auszunutzen.
In Anbetracht meiner täglichen Zusammenarbeit mit diesem imposanten Fluchttier ist es von entscheidender Bedeutung für mich, die Rolle in unserem Zweierteam klar zu definieren. Unterlassen wir es, dies zu tun, wird das Pferd von Natur aus diese Rolle einnehmen – ein instinktives Verhalten, das auf dem Überlebensinstinkt eines Herdentieres basiert. In diesem Sinne ist es unabdingbar, dass wir die Führung bewusst übernehmen, um eine harmonische Zusammenarbeit zu erzielen.
Ähnlich wie in einer Herde müssen wir die Führung in der Zusammenarbeit klar definieren, dabei aber Raum für das Pferd lassen, um mitzudenken und sich selber auszudrücken – immer im Rahmen des Respekts.
Die feine Balance zwischen klaren Anweisungen und der Möglichkeit für das Pferd, selbstständig zu agieren, ist manchmal herausfordernd. Durch genaue Beobachtung der Pferde im Umgang mit Artgenossen und mit uns selbst lernen wir, die Grenzen ganz individuell zu erkennen und zu entscheiden, wann eine Korrektur notwendig ist und wann dem Pferd Spielraum gewährt werden kann.